Martin Schwalb
Spieler – Trainer – Praesident – sportverrückt!
Martin Schwalb begrüßt mich in den heiligen Hallen des HSV Handball mit so einer herzlichen Art, dass man sich hier sofort zu Hause fühlt. Ich schaue gerne zu ihm auf, denn dieser Mann ist 1,94 m groß und gewann dieses Jahr mit den Handballern die Deutsche Meisterschaft. Als ehemaliger Nationalspieler und Trainer stieg er nun zum Geschäftsführer und Präsidenten des HSV Hamburg auf. Das verdankt Martin Schwalb nicht nur seiner 90-Stunden-Woche, die er übrigens nie als Arbeit empfindet, sondern auch seinem Talent und der Freude am Handball.
Wie kommt man denn zum Handball?
Also bei mir war das eine ganz lustige Geschichte. Als ich sechs Jahre alt war habe ich bei meinem Fußballverein ein Probetraining gemacht. Ich habe immer gerne Fußball gespielt und die Fußballer wollten unbedingt, dass ich bei Ihnen bleibe. Allerdings ist mein großer Bruder zum Handball gegangen und da der kleine Bruder dem großen Bruder gerne alles nachmacht, bin ich direkt hinterher. Außerdem bin ich Linkshänder, da hat man beim Handball natürlich Vorteile. Wenn man dann ein bisschen talentiert ist, kann man gut Karriere machen. (lacht) Da hat man dann auch nicht so viel Konkurrenz.
Ist Handball der intelligentere Sport?
Also ich scheue mich ja vor Vergleichen, da kommt immer einer schlecht weg. Was ich glaube ist, dass Handball in einer bestimmten Schicht stattfindet in Deutschland. Also ich gehe öfters an einem Tag zu einer Handball- und zu einer Fußballveranstaltung. Da sind dann jeweils ganz unterschiedliche Leute. Wir bestehen eher aus der Mittelschicht und Fußball ist sehr viel verbreiteter in allen Schichten.
Wäre es schön, wenn man Handball so populär machen könnte, wie Fußball?
Wir bemühen uns in unserer täglichen Arbeit Handball genauso populär zu machen, wie Fußball. Trotzdem muss man ganz klar sagen, dass der Fußball der Volksport Nummer eins ist. Ganz einfach auch aus dem Grund, weil ich beim Handball einen richtigen Platz brauche, einen Schiedsrichter, eine Halle usw.. Man kann beim Handball nicht einfach drauflos kicken oder sich Sonntagmorgen im Park treffen, um mit seinen Kumpels ein paar Bälle zu werfen. Der Handballport hat seine natürlichen Grenzen. Die hat der Fußball nicht.
Wer ist eure bekannteste Identifikationsfigur?
Wir haben hier beim HSV Handball die drei bekanntesten Handballspieler. Pascal Hens, Johannes Bitter und Michael „Mimi“ Kraus.
Wie sieht es mit dem Nachwuchs aus?
Wir haben sehr gute Jugendmannschaften und sind seit Jahren Jugendweltmeister und Jugendeuropameister. Das „Problem“ ist, dass in Deutschland in der Bundesliga die richtig großen Weltstars spielen. Also auch wenn du als Jugendspieler sehr talentiert bist, dauert es einfach seine Zeit bis du wirklich so gut wirst, dass du dich mit den Topspielern messen kannst. Ein junger Fußballer spielt ja auch nicht gleich bei Real Madrid.
Wann ist die beste Zeit für einen Handballer?
Das ist auch anders als beim Fußball. Du musst sowohl körperlich als auch athletisch und taktisch perfekt ausgebildet sein. Du brauchst viel Selbstbewusstsein und musst dich wohl fühlen auf dem Spielfeld. Das alles zusammen schaffst du mit Anfang 20 noch gar nicht. Die beste Zeit, sage ich, ist zwischen 28 und 32 Jahren. Da bist du auf deinem absoluten Toplevel.
Was ist das Besondere am Handball und wieso möchte keiner trotz der vielen Risiken und Verletzungen aufhören?
Das Besondere am Handball ist die Kombination. Dein ganzer Körper wird trainiert und du bist immer fit. Außerdem ist es ein taktisches Spiel und hier kannst du dich immer weiterentwickeln. Es bleibt immer spannend. Als Spieler musst du auf alles gefasst sein und du musst sehr vieles können, wie schnell laufen, hoch springen und auch in taktischer Hinsicht muss man gut ausgebildet sein. Und zu guter Letzt ist es ein Mannschaftssport. Das kann ich nur jedem empfehlen, denn so eine Gemeinschaft bringt einfach viel Freude in dein Leben. Das gemeinsame Gewinnen, das gemeinsame Verlieren, so ein Team hält immer zusammen, auch in schwierigen Zeiten. Bei mir spielt sich das gesamte Leben in der Handball-Familie ab.
Was war deine schlimmste Verletzung?
Ich hatte 1988 einen Bandscheibenvorfall und konnte mich fast gar nicht mehr bewegen. Da dachte ich, die Karriere wäre zu Ende. Ich bin operiert worden und habe dann direkt weitergespielt.
Hattest du keine Angst, dass so etwas wieder passiert?
Darüber habe ich mir nie einen Kopf gemacht, ich wollte einfach nur weiterspielen. Allerdings war 1988 die OP noch nicht so einfach wie heute und ich bin natürlich sehr dankbar, dass alles so gut verlaufen ist.
Ich finde, Handball ist ein besonders harter Sport.
Also, ich sag es mal so: Wir halten uns alle schon für richtig harte Jungs. Aber das Faszinierende ist, dass beim Handball und auch anderen harten Sportarten wie Rugby oder Australian Football die Fairness sehr hoch gehalten wird. Anders würde der Sport auch gar nicht funktionieren, sonst würde das ja immer in einer riesen Prügelei enden. Die Spieler gehen zwar hart miteinander um, aber fair!
Ist man als Handballer auch bei anderen Sportarten besonders talentiert?
Alle unsere Jungs sind auch gut in anderen Sportarten. Diejenigen von uns, die z.B. andere Ballsportarten spielen sind darin auch immer sehr gut. Das liegt natürlich daran, dass sie ein super Ballgefühl haben und Allround-Talente sind.
Wie viel trainiert ein Handball-Profi?
Das ist unterschiedlich, ein- bis zweimal am Tag. Ab und zu haben sie natürlich auch frei. Wenn wir in der Woche sehr viele Spiele haben, dann ist das Trainingsprogramm verhältnismäßig ruhig.
Wie schmerzhaft war der Umstieg vom Trainer zum Präsidenten?
Gar nicht schmerzhaft. Ich bin ja immer noch dabei.
Und der Sprung vom Spieler zum Trainer?
Ich war als Spieler nie der brachiale Spieler. Ich war schon immer eher der Stratege und habeversucht im Spiel die Dinge spielerisch zu lösen, darin lag mein Talent. Ich habe mir damals schon viele Gedanken über Taktiken gemacht und von daher war es für mich logisch, dass ich irgendwann einmal Trainer werden möchte. Und dann hatte ich das große Glück mit 35 Jahren (nach 16 Jahren Bundesliga) einen Trainerposten zu bekommen.
Trainer an sich ist ja kein Ausbildungsberuf. Was wärst du denn geworden, wenn das alles nicht so geklappt hätte?
Ich muss dazu sagen, dass ich Zeit meines Lebens nie etwas anderes wollte. Ich hab mal versucht zu studieren und habe auch als Sportjournalist bei Sat.1 gearbeitet, aber für mich war immer klar, dass ich beim Handball bleibe. Ich wäre also so oder so beim Sport geblieben.
Du hast eine 90-Stunden-Woche oder?
Naja, mein Glück ist es, meine Arbeit nicht als Arbeit zu empfinden. Ich liebe meine Job und daher kommt es mir meistens nicht so vor, als würde ich arbeiten. Ich hatte in einem Jahr mal eine Abrechnung über 120 Tage nur an Lehrgängen. Da dachte ich: Das kann ja gar nicht sein! Da war ich alleine 120 Tage nur für die Nationalmannschaft unterwegs und habe „nebenbei“ noch Bundesligaspiele und Pokalspiele gehabt.
Schläfst du denn überhaupt noch?
(Lacht) Ja, ab und zu schon.
Ist deine Familie auch so handballverrückt?
(Zögert) Ja, also meine Frau kommt gerne zu den Spielen. Sie schaut sich gerne Handballspiele an, so haben wir uns auch kennengelernt. Aber sie hat nie selber gespielt. Mein Sohn hingegen ist begeisterter Handballer und Fußballer. Meine Tochter hat Handball auch ausprobiert, aber spielt jetzt nicht regelmäßig.
Wie war denn das Gefühl bei den Olympischen Spielen dabei sein zu dürfen und zu gewinnen?
Wir haben ja nicht gewonnen! Wir sind Zweiter geworden! Second is the first loser. Ich ärger mit da heute noch drüber. Hätten wir das Scheißding bloß gewonnen! Olympiasieger ist schon was anderes als eine Silbermedaille.
Wo ist die Silbermedaille jetzt?
Bei meinem Sohn im Kinderzimmer zum Spielen.
Was war dein schönstes sportliches Erlebnis?
(Lacht) Auf jeden Fall trotzdem die Olympischen Spiele. Diese drei Wochen sind einfach unvergesslich! Du bist einer von 10.000 Menschen auf der Welt, die das Olympische Dorf betreten dürfen, das ist schon krass. Ich war einmal 1984 in Los Angeles und einmal 1996 in Atlanta. Aber innerhalb dieser zwölf Jahre hat sich sehr viel verändert. 1984 haben alle Weltstars des Sports noch zusammen gefeiert und Party gemacht, 1996 dagegen war es schon eher eine Zweiklassengesellschaft. Die einen waren im Olympischen Dorf und die anderen im Hotel. Man merkte einfach den Einfluss der Werbeverträge und es ging nicht mehr nur um den Spaß an der Sache.
Hast du eine Lieblings-Wurftechnik?
Die ich hatte oder jetzt habe? Also ich fand Sprungwürfe immer toll. Jetzt gibt es ja diese ganzen Dreher und Leger, das finde ich eher zweischneidig. Es darf nicht nur lässig aussehen, sondern muss auch zum Erfolg führen. Wenn der Trickwurf nicht erfolgreich ist, finde ich es für die eigene Mannschaft immer etwas despektierlich. Die Mannschaft rennt und kämpft und dann verlierst du vielleicht ein Spiel nur weil einer den Affen markieren will. Also Trickwürfe sind klasse, aber sie müssen auch erfolgreich sein! Der Erfolg steht über allem.
Du bist auch Botschafter für die „Initiative Respekt“.
Ja genau, das ist eine Sache, die mir am Herzen liegt. Da geht es ursprünglich um Respekt beim Sport, aber natürlich auch um Respekt im Leben. Dass man Respekt vor Menschen hat, die anders denken und vielleicht auch anders aussehen oder auch anders handeln als man selber.
Weißt du schon, was du an Weihnachten und Silvester machst?
(Grinst) Ja, an Weihnachten bin ich zu Hause und gucke meinen Kindern zu, wie sie ihre 525.000 Geschenke auspacken. (Lacht) Bei meinem Glück ist wieder irgendetwas dabei, was man den ganzen Abend zusammenbasteln muss. An Silvester gehen wir traditionell immer mit Freunden von uns Ski fahren.
Und als Happy End darf ich die Luft und die Energie spüren, die in den Umkleidekabinen und der leeren Halle der Volksbank ArenadesHSV Handball liegen. Es ist ein ganz besonderer Sport und Martin Schwalb ein ganz besonders sportverrückter Präsident. Seine Begeisterung hat mich mitgerissen! Schade, dass der HSV Handball keine Frauen trainiert!