Diakoniearbeit ist Lifeystyle
Es regnet, es ist kalt und wenn Sven Schade mit seinem Roller von der anderen Seite der Elbe in die Innenstadt von Hamburg fährt, dann beginnt er seine abendliche Tour öfter mit einer nassen Hose. Besonders in den Wintermonaten, wo sich viele lieber gemütlich mit ihrer Decke auf die Couch kuscheln, bahnt sich jetzt die nasse Kälte von Svens Jeans ihren Weg bis hin zu jeder Faser seines Körpers. Hier in der Innenstadt startet jeden Abend der Mitternachtsbus der Diakonie Hamburg. Der Kleinbus ist mit dem Notwendigsten ausgestattet: Essen, Getränke, ein paar Klamotten und Decken. Das Motto ist: „Kein Mensch soll in Hamburg an der Kälte sterben“. In Hamburg leben 1.200 Menschen auf der Straße und neben Essen und Trinken kommt mit den ehrenamtlichen Helfern auch die menschliche Wärme zu ihnen.
„Es geht hier darum, nicht einfach wegzugucken. Die Helfer und die Obdachlosen interessieren sich füreinander. Ich gebe mit dieser Arbeit nicht nur der Gesellschaft etwas Persönliches von mir zurück, sondern ich bekomme im Gegenzug auch sehr viel positive Energie zurück“, sagt er. „Wir respektieren uns alle gegenseitig und erfreuen uns an den Gesprächen untereinander, auch wenn die Geschichten oft traurig sind und diese natürlich unter einem tragischen Hintergrund stehen“, sagt Sven mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck.
Das Zuhören ist besonders wichtig. Genau deshalb fährt der Mitternachtsbus jede Nacht zu den Schlafplätzen der Obdachlosen, den sogenannten Platten. Dort hört man von Schicksalen wie: „Geld weg“, „Frau weg“ oder „Haus weg“, alles bis hin zum Heiratsantrag während der Brötchenausgabe vor dem Altonaer Bahnhof.
Ein betrunkener polnischer Gastarbeiter, der bei einem Arbeitsunfall zwei Finger verloren hat, verliebt sich kopfüber in eine Diakoniearbeiterin. Er macht ihr auf polnisch einen Antrag und schlägt vor, sie auf seinem Fahrradgepäckträger bis nach Polen mitzunehmen, damit er sie in der Heimat seiner Mutter vorstellen kann.
Oder wie bei Francoise, die scheinbar immer schwanger ist. Sie stopft sich massenweise Pullis unter ihre Jacke in Höhe ihres Bauches. Mit gespitzten Lippen zeigt die Französin stolz ihren Personalausweis und sagt: „Isch verstehe nischt, wieso die Polizei mir nischt glaubt, dass ich noch minderjährisch bin. Isch habe hier doch meinen Ausweis und da steht doch drauf, dass isch noch keine 18 bin.“ Sie dreht das kleine Kärtchen in ihrer Hand um und zeigt es Sven. Dieser kann lediglich einige fette schwarze Buchstaben entziffern, die Francoise eigenhändig mit einem Edding auf den Personalausweis geschrieben hat.
„Wenn man miteinander ins Gespräch kommt, merkt man schnell, wer die Nähe und den Kontakt sucht. Bei Anderen reicht es wiederum, einfach für sie da zu sein. Hierbei geht es um das intensive Begegnen untereinander und darum den Kontakt zwischen den verschiedenen Lebenswelten herzustellen“, sagt er.
Müde und zufrieden steigt Sven am Ende seiner Nachtschicht auf den Roller und freut sich auf sein warmes Bett und ein Dach über dem Kopf.