Michael Frontzeck
Der Piraten-Trainer
Fotos Oliver Reetz /Text Madita van Hülsen
Seit 2012 trainiert Michael Frontzeck den wohl individuellsten Fußballverein aller Zeiten, den FC St. Pauli. Auch als ehemaliger Fußballprofi und erfahrener Trainer ist der Piraten-Verein eine Herausforderung, denn hier ist alles anders, als man es von den typischen Fußballclubs gewohnt ist. Der Mann aus Mönchengladbach ist allerdings nicht nur begeistert von Hamburg, sondern er ist auch begeistert von der Loyalität der Fans.
Michael Frontzeck ist unter anderem bekannt dafür, dass er ein sehr fokussierter und bodenständiger Trainer ist. Im Millerntor-Stadion sprechen wir mit ihm darüber, warum es jetzt viel mehr Frauen in den Fußballsendungen zu sehen gibt, ob er nach wie vor Vorbilder hat und warum man als Fußballprofi nie die Bodenhaftung verlieren sollte.
Kann man den FC St. Pauli als Mannschaft mit Charakterzügen belegen?
Das ist sehr schwer zu beschreiben, aber ich denke, dass der Club tatsächlich für ein hohes Wertesystem steht. Er entwickelt sich ständig weiter ohne sich zu verkaufen. Diesen Spagat, sich trotz des Drucks und der Verkaufszahlen die alten Tugenden zu bewahren, bekommt St. Pauli immer sehr gut hin. Und trotzdem sind wir als Verein in der Lage uns weiterzuentwickeln, bauen unser Stadion aus und entwickeln neue Trainingsmöglichkeiten.
Was gibt der Fußball einem Spieler mit auf den Lebensweg?
Fußball gibt den Spielern bereits in sehr jungen Jahren eine große Portion Sozialverhalten mit auf den Weg. Man bewegt sich in einem Team und deshalb ist Sport in der Jugend grundsätzlich von Vorteil, egal welche Sportart man betreibt.
Ich stelle mir die Teamführung sehr schwierig vor. Was ist die größte Herausforderung für dich?
Es ist eine sehr anspruchsvolle Position, wie jede Führungsposition, in der man die Herausforderung hat, eine Gruppe zu führen. Natürlich weiß ich durch meine Erfahrung als Profispieler, wie eine Mannschaft funktioniert, aber das Trainieren einer Mannschaft ist nochmal etwas ganz Anderes. Jeder Spieler hat seinen eigenen Kopf und es gibt natürlich ein paar Spieler, die ein besonders großes Ego haben. (lacht) Das ist manchmal gut und manchmal nicht. Die Kunst ist es, das Ego hinten anzustellen und alles für das Team zu tun.
Verliert man als junger Fußballer schnell die Bodenhaftung?
Es ist das Normalste der Welt, das so etwas vorkommt. Es ist viel Geld im Umlauf, hier richtet es sich nach Angebot und Nachfrage. Wenn man dann mit 18 Jahren sein erstes Länderspiel macht, dann prasselt Vieles auf einen ein. Da kann es schon mal passieren, dass man sich für den Nabel der Welt hält. Wenn man da kein gesundes Umfeld hat, ist es schnell möglich die Bodenhaftung zu verlieren. Ein gut funktionierendes Umfeld ist wichtig, damit man die ganze Sache richtig einordnen kann.
Wie viele Menschen machen, ebenso wie du, diese „Fußballlehrerausbildung“?
(lächelt) Ich glaube, mehr als du denkst. Diese Ausbildung ist mit den Jahren auch immer anspruchsvoller geworden. Es gibt unterschiedliche Scheine, die man haben muss, um in bestimmten Ligen trainieren zu dürfen.
Es gibt fünf verschiedene Stufen: den Fachübungsleiter, die C-, B- und A-Lizenz und den Fußballlehrer. Den Begriff mag ich aber nicht. Wir sind Trainer.
Du hast die höchste Lizenzprüfung mit Auszeichnung bestanden? Wie kam das?
Das können nur die Dozenten beantworten. Bei allen Prüfungen kommt am Ende eine Gesamtnote heraus. Die Note in allen Ehren, aber sie sagt nichts darüber aus, ob man ein guter Trainer ist oder nicht.
Du hast fußballtechnisch schon viel von der Welt gesehen. Was ist an Deutschland besonders oder eben anders als in anderen Ländern?
Ich empfinde es so, dass Deutschland sich sehr gut entwickelt hat in den letzten Jahren. Fußballerisch gehören wir wieder zu den absoluten Topteams. Die Bundesliga ist auf einem Niveau mit der englischen und spanischen Liga. Fußball ist Begeisterung, in Deutschland sind in der 1. Liga nahezu alle Spiele ausverkauft. Bei uns ist das Stadion auch immer voll. Da haben Länder wie Spanien oder Italien zum Beispiel in den letzten Jahren nachgelassen. Ich denke auch, dass Fußball in Deutschland besonders gut vermarket wird. Der Fernsehsender „Sky“ macht das zum Beispiel ganz hervorragend, wenn ich mal samstags die Konferenz schauen kann, ist das eine super Aufmachung.
Die haben ja auch viele heiße Moderatorinnen.
(lacht) Da müssen wir aber jetzt aufpassen, dass das keinen sexistischen Touch bekommt. Ich finde, dass die Frauen, die da im Einsatz sind, auch alle was vom Fußball verstehen. Das wird sicherlich auch marketingtechnisch einen relevanten Hintergrund haben, dass es jetzt auf vielen Sendern mehr weibliche Experten beim Fußball gibt.
Was machen denn die Medien nicht so gut?
Medial wird es oft so dargestellt, als wären einzelne Spieler oder Trainer für etwas verantwortlich und das stimmt einfach nicht. Fußball funktioniert nur als Teamsport, im positiven wie auch im negativen Sinn. Es ist nun einmal ein Mannschaftssport und ein Verein besteht ja nicht nur aus einem Mittelstürmer, einem Torwart oder einem Trainer. Nur wenn alle gut zusammenarbeiten, dann ist das die Grundvoraussetzung, um erfolgreich sein zu können.
Pro und Contra für den FC St. Pauli und sein Stadion?
Der Club hat ein ganz besonderes Publikum, das zu 100 Prozent hinter der Mannschaft steht. Gerade für junge Spieler ist das super, denn auch wenn es schlecht läuft, wird hier niemand ausgepfiffen, sondern immer unterstützt. Auch mit dem Gast wird immer sehr respektvoll umgegangen und die Gastmannschaft wird oft mit Applaus verabschiedet. Außerdem haben wir das Millerntor-Stadion, wo seit dem Umbau inzwischen 30.000 Zuschauer reinpassen. Wenn wir z.B. gegen einen Gegner spielen, der nicht so viele Fans mitbringt, dann ist das Stadion dennoch voll. Und wenn wir auswärts spielen, dann fahren immer 3.000 bis 5.000 Fans mit und unterstützen uns. Das ist herausragend.
Was magst du außer Fußball?
Ich mag Boxen! Leider bin ich seit einigen Jahren stark gelangweilt von der Schwergewichts-Boxszene. Ich war als kleiner Junge Fan von Muhammad Ali und später von Mike Tyson. Die Klitschkos sind fantastische Boxer, aber mir fehlt beim Schwergewichts-Boxen die Spannung. Wenn ich wüsste, dass sie auch mal getroffen werden, dann würde ich mir auch wieder einen Kampf ansehen. Das kann man den beiden ja nicht zum Vorwurf machen, aber so hat der Sport für mich seinen Reiz verloren. Neben Boxen spiele und gucke ich für mein Leben gerne Tennis. Und wenn ich viel Zeit habe, spiele ich auch ab und an Golf.
Welche Mannschaft ist ein Vorbild für dich?
Herausragend ist für mich der FC Barcelona. Dort haben sie eine Philosophie entwickelt, die sich durch den gesamten Club zieht. Viele Weltklasse-Spieler wie Messi, Xavi oder Iniesta sind aus der eigenen Jugend zu den Profis gekommen. Und trotz ihrer Weltklasse sind sie immer bescheiden geblieben. In Interviews sprechen sie trotz ihrer Klasse nie von sich selbst, sondern immer von der Mannschaft.
Und wer sind persönliche Vorbilder für dich?
Helmut Schmidt finde ich herausragend als Person, dem könnte ich stundenlang zuhören. Er ist wahnsinnig belesen und in seinem hohen Alter immer noch richtig auf Zack. Außerdem beneide ich ihn, dass er öffentlich immer rauchen darf.
Hast du Zeit für Hobbys?
Also das Trainerdasein ist schon ein sehr zeitausfüllender Job und wenn ich mal ein bisschen zur Ruhe komme, dann bin ich einfach wahnsinnig gerne mit meiner Familie zusammen. Meine Frau und ich sind wirklich begeistert von Hamburg und wir fühlen uns hier sehr wohl. Die Stadt hat viele Facetten und ich genieße hier auch ein bisschen die Anonymität, muss ich gestehen. (lacht) Da passt es auch sehr gut, dass es beim FC St. Pauli keinen Personenkult gibt.
Du hast zwei Kinder, einen Jungen und ein Mädchen. Was hättest du gemacht, wenn dein Sohn gerne Balletttänzer geworden wäre?
Dann hätte er meine volle Unterstützung! Er macht im Moment gerade eine Ausbildung zum Koch. Grundsätzlich denke ich aber, dass man seine Kinder so gut es geht unterstützen sollte, egal für welchen Beruf sie sich entscheiden.
Du hast mal gesagt „es ist immer Luft nach oben“. Wie sieht das im Moment beim FC St. Pauli aus?
So wie die Bayern in der letzten Saison gespielt haben, waren sie nah am Optimum. Wir haben beim FC St. Pauli eine junge Mannschaft, die man entwickeln kann. Aber das braucht seine Zeit. Der Verein ist ein gesunder Club, der realistische Ziele ausgibt, aber keinen Etat hat, der einen träumen lässt.
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