Zu Ehren Erna Thomsen
Portraet Erna Thomsen *Wirtin zum Silbersack*
Erna Thomsen war eine sehr stolze Frau und mit ihrer Kultkneipe gehörte sie zu den Urgesteinen aus St. Pauli. Zu Ehren von Erna Thomsen ein Porträt über die Wirtin „Zum Silbersack“.
Bei unserem Interview im Februar 2012 sitzt sie kerzengerade auf einem ihrer 55 Stühle und richtet sich immer wieder auf sobald sie merkt, dass sie auf dem Stuhl etwas zusammengesackt ist. Sie sagt, sie hat auf St. Pauli schon alles gesehen. Ihre Kneipe „Zum Silbersack“ hat 13 Tische und wir sitzen dort, wo schon Hans Albers, Hildegard Knef und Heinz Rühmann gerne saßen.
Seit 1949, wo die Kunden für’n „Lütt und Lütt“ (Bier und Schnaps) nur 45 Pfennige zahlten bis heute ist die Menschlichkeit Dank Erna im „Silbersack“ geblieben. Und Erna ist es wichtig, dass das auch so bleibt.
Die 88-jährige ist bescheiden und zurückhaltend. Deshalb vergehen für mich als quirlige Reporterin viele Minuten bis ich ihr Vertrauen gewonnen habe. Erst als wir merken, dass wir fast verwandt sind sehe ich ein erstes Lächeln auf Ernas Gesicht. Sie nippt an ihrem Thymiantee mit Honig und erzählt mir, dass sie eigentlich nicht so gerne fotografiert wird.
Was ist denn ihr Lieblingsgetränk, wenn Sie keinen Thymiantee trinken?
Oh, das ist schwer zu sagen. Gänsewein.
Und was ist Gänsewein?
Wasser.
Haben Sie ein Lieblingslied in ihrer Jukebox?
Ach nee, das geht beim einen Ohr rein und beim anderen wieder aus.
Sie stehen am Wochenende immer noch selbst hinterm Tresen, oder?
Nicht nur am Wochenende, auch mal unter der Woche. Ich sehe ja jeden Tag etwas Neues, das ist immer noch spannend.
Erna Thomsen wohnte ganz in der Nähe ihrer Kneipe. Nach dem Krieg, 1948, bauten die Eheleute Thomsen, 165 km von Hamburg entfernt, aus ein paar Brettern ein Haus. Nach der Fertigstellung wurde das Holzhaus auf abenteuerliche Weise über Stock und Stein in die Silbersackstraße transportiert. Was nur wenige wissen: Erna hat sogar eigenhändig ihren Bierkeller ausgehoben!
Das Bier kostet auch heute nur 1,90 Euro. Wird das am häufigsten bestellt?
Ja, ich glaube, weil es am einfachsten ist. Ich trinke selbst zwar kein Bier, aber was soll‘s. Wir haben ca. 20 Getränke auf der Karte, wenn man die Mixgetränke mit Schnäpsen dazu nimmt an die 60 und trotzdem trinken die Leute am liebsten Bier.
Haben Sie einen Lieblingsgast?
Oh, da würde ich ja jemanden bevorzugen, wenn ich da jetzt was sage. Das möchte ich nicht. Zum Glück sind ja alle unterschiedlich.
Warum kommen die Gäste immer wieder?
Weil wir die Gäste anständig bedienen.
Ja, wenn das immer so einfach wäre, denke ich im Stillen. Dann würde ja kein Geschäft Pleite gehen. Tatsache ist, der „Silbersack“ lief seit dem ersten Tag bestens und so konnten auch alle Kredite nach der Kriegszeit rasch abbezahlt werden. Da muss also mehr dahinterstecken als die Gäste anständig zu bedienen. Es ist ganz klar Ernas Charakter und der Zusammenhalt ihrer Mitarbeiter. Und die wurden von Erna immer ganz genau ausgesucht.
Wonach such du deine Mitarbeiter aus?
Die müssen gut sein. Und toi toi toi, der Domenik der gerade hier ist, der ist sehr gut.
(An Domenik gewandt) Sag mir bitte drei Adjektive, wie man Erna beschreiben kann?
Hui, das ist aber schwierig jetzt so aus der Lamäng heraus…..(überlegt kurz und sagt dann fest entschlossen) zielstrebig, charakterstark und menschlich.
Was magst du an Menschen und was magst du gar nicht?
Ein Mensch muss zurückhaltend sein und nicht so aufdringlich…(denkt länger nach)…das war’s eigentlich schon. Man sollte aufpassen, dass man nicht zu viel redet.
Die Zeiten früher waren zwar anders, aber nicht einfacher als heute. Es gab viele Seemänner und auch oft Schlägereien. Deshalb kam 1950 der erste Portier, Audi, um für Ordnung im „Silbersack“ zu sorgen. Zu Spitzenzeiten beschäftigte Erna Thomsen ca. 30 Mitarbeiter und es gab sogar eine Live-Kapelle, die täglich spielte. Dann entschloss sich Erna selbst der Rausschmeißer in ihrem eigenen Laden zu sein.
Muss man sich den Respekt als Frau auf St. Pauli verdienen?
Die haben mehr Respekt vor einer Frau als vor einem Mann! Wenn eine Frau was sagt, dann machen die das auch. Klar musste ich mich anfangs durchsetzen, aber das ging ganz gut.
Was hat sich auf St. Pauli zwischen früher und heute verändert?
Früher gab es ein richtiges Nachbarschaftsverhältnis mit allen, die hier wohnten. Das hat sich besonders in den letzten zehn Jahren verändert. Früher hatten wir unser Milchgeschäft und den Gemüseladen um die Ecke und jetzt muss man für die kleinen Dinge im Leben sehr weit laufen.
Haben sich die Menschen auch sehr verändert?
Ja, das haben sie.
Was waren die schwierigsten Jahre?
Das war, als die S-Bahn hier gebaut wurde, dies war Ender der Siebziger Jahre. Da konnte keiner mehr von der einen Seite der Reeperbahn auf die andere Seite. Die Bauarbeiten haben viele Jahre gedauert und fast die Hälfte der Besucher fiel weg.
Kannst du mir sagen, was du immer noch liebst an St. Pauli?
Das es heute trotzdem immer noch so ist wie mit einer Familie hier.
Erna war schon immer sehr hilfsbereit und so verwundert es nicht, dass sie alljährlich der evangelischen Freikirsche an Heiligabend den „Silbersack“ überlässt, um dort eine Weihnachtsfeier zu veranstalten bei der jeder herzlich willkommen ist.
Und im „Silbersack“ wurden nicht nur freudige Wiedersehen und viele Verlobungen gefeiert, sondern 2011 hat hier auch das erste Mal eine Hochzeit stattgefunden. „Die haben sich vor neun Jahren hier kennengelernt und wollten so gerne hier bei mir heiraten. Das war richtig schön.“, lächelt Erna zufrieden.
Ohne Erna Thomsen hätte es viele Geschichten auf St. Pauli nicht geben und so manches Menschenschicksal wäre anders verlaufen. Der „Silbersack“ schreibt das Leben und Erna Thomsen ist für viele Gäste der Grund, warum sie Hamburg so sehr ins Herz geschlossen haben. Danke Erna.